Kontemplation

 
 
 "Jahr ein, Jahr aus, der Welten Lauf, 
der Schöpfung Licht und Freude.
 Jahr ein, Jahr aus, der Welten Lauf, 
der Schöpfung Farbenspiel
 dient nur dem Ziel, zu finden Mich 
in Seelenspiegels Angesicht.”
 (inneres Wort) 

Was aber ist nun unter Kontemplation/dem Gebet der Stille zu verstehen? Ganz allgemein könnte man formulieren: Kontemplation ist ein urchristlicher Weg zur lebendigen Gotteserfahrung auf den Spuren abendländischer Mystiker wie zum Beispiel Meister Eckehart, Johannes vom Kreuz, Theresa von Avila und letztlich Jesu Christi selbst (vgl. Fernand Braun).

Es gibt verschiedene Arten, sich mit der göttlichen Wirklichkeit in Beziehung zu setzen. Die uns bekannteste Art des Gebetes ist wohl das Beten mit Worten (oratio) und das Betrachten von Bildern und Texten (meditatio). Im „Gebet der Stille“ (contemplatio) nähren wir uns der göttlichen Wirklichkeit hingegen von einer ganz anderen Seite. Wir tun aktiv nichts, sondern lassen vielmehr geschehen. Den Kern dieser Gebetsform möchte ich Ihnen anhand einiger Fügungen im Zusammenhang mit dem 2018 gegründeten Gebetskreis „Gebet der Stille“ in der Dionysiuskapelle verdeutlichen.

So fügte es sich, dass das erste Zusammensein auf den Karfreitag 2018 fiel. Das Geheimnis dieses Tages drückt in seiner unermesslichen Tiefe genau das aus, worum es auch für uns im Gebet der Stille – und letztlich wohl immer – geht.

Der Karfreitag ist der Todestag Jesu, der Tag des letzten Loslassens. Er führte jedoch nicht in den Untergang, sondern in die Verwandlung Jesu in Christus, in das Mysterium der Auferstehung Jesu Christi, in das Leben…

Auch wir üben im Gebet der Stille das Loslassen, das bedingungs-, absichtsloselose und vertrauensvolle Überlassen… In der östlichen Tradition des Zen sagt man sogar, „Wir üben das Sterben auf dem Kissen.“ Dies meint, dass auf diesem Erfahrungsweg unser Ego/unser kleines Ich mit all seinen Identifikationen und Anhaftungen, mit all dem, was wir für gewöhnlich zu sein glauben, zunächst „sterben“ muss und verwandelt wird, damit unser wahres Selbst erstrahlt… Damit Christus in uns geboren wird. So werden wir im Grunde in der wesentlichen Bedeutung erst wahrhaft zur Person, wenn wir Person im Sinne des lateinischen Wortstammes „personare“ verstehen, was soviel bedeutet wie hindurchtönen… So werden wir zu Menschen, durch die es hindurchtönt, transparent für das ganz Andere, wie es Graf Dürckheim formuliert. So werden wir zu Menschen, in denen Christus lebendig ist.

Weiter fügte es sich, dass der Name des Ortes der monatlichen Treffen, der Dionysiuskapelle, genau dies ausdrückt: „In der Gestalt des Dionysius leuchtet die innere Schönheit eines Menschen auf, der für Christus durchlässig geworden ist“ (Anselm Grün). Der Kern des stillen Gebetes wird durch die zentrale Aussage des HERRN über sich selbst an Moses „ICH bin, der ICH bin“ und die Aufforderung „Macht euch kein Bildnis von Mir“ beschrieben. Dies verdeutlicht, wobei es in der Kontemplation wesentlich geht. Und so besteht die Grundübung aus:

  • dem ständigen und geduldigen Loslassen aller Bilder, Konzepte und Gedanken
  • dem schweigenden Verweilen in der Fülle des Augenblicks / in der Gegenwart Gottes
  • dem vertrauensvollen Sich- Einlassen auf den eigenen Wesensgrund.


Wir sind einfach da, präsent in der verwandelnden Kraft des Augenblicks, in der Gegenwart Gottes. Denn ER kommt uns in jedem Atemzug aufs Neue entgegen. Er wartet seit Ewigkeit… in jedem Augenblick unseres Seins… im ewigen Jetzt… vor unserer Herzenstüre darauf, dass wir IHN einlassen…, dass wir uns von IHM finden lassen.

Wer diesen Weg ernsthaft betritt, für den endet die Zeit des Suchens und es beginnt die Zeit des Gefunden – Werdens. Das ist einfach, denn die Wahrheit ist unsagbar einfach. Es gibt hierbei nichts zu tun. Wir müssen nichts leisten. Dies ist für uns Verstandsmenschen das wohl Schwierigste und Paradoxe. Wir dürfen uns ganz der Stille, dem Willen und Wirken des Vaters überlassen. „Nichts wissen, nichts erkennen, nichts wollen, nichts suchen, nichts haben wollen,“ so beschreibt es der Dominikaner, Mystiker und Theologe Johannes Tauler Anfang des 14. Jahrhunderts. Wir dürfen einfach da sein, mit allem, was ist. So werden wir, was wir in Wahrheit immer schon sind.

Kontemplation ist eine Schulung des Bewusstseins hin zu mehr Offenheit und Weite. Was wir im präsenten Dasein in der Stille einüben, wird unmerklich unser ganzes Leben erneuern. Auch das Handeln geschieht dann in mehr Klarheit, Präsenz und Mitgefühl. Ein harmonischeres, freieres und kreativeres Leben wird möglich. Kontemplation ist kein Rückzug aus der Welt (vgl. Ulrike Leiber). Obwohl oder gerade weil wir uns zeitweise ganz nach innen unserem eigentlichen Wesen zuwenden, geht doch die Wirkung weit darüber hinaus und strahlt aus in die äußere Welt. Sie führt uns zu einem bewussteren „neuen“ Dasein in der Welt, in unseren Alltag. So wird das Wort des HERRN „Siehe, ICH mache alles neu!“ Wirklichkeit.

Wann haben es die Menschen verstanden, dass das Verstehen niemals reicht in die Tiefe, aus der ICH sie rief? Wo du dich noch nach neuen Erkenntnissen sehnst, dort bist du noch soweit entfernt von der Wahrheit, wie ein Stein am Meeresgrund von der Sonne. Ja, ICH bin, der ICH bin und das Ziel aller Sehnsucht und die Ursache derselben. Heimat ist euch geschenkt durch Mich und Heimat ist Mein Geschenk an dich. Amen. (inneres Wort)